Wunder erfahren – Kinder, die Bücher entdecken
Der erste Eindruck
„[…] Ich stand am Strand und vor mir lag ein Wal…Und die Wellen haben gerufen…Schieb den Wal, schieb den Wal, schieb den Wal zurück ins Meer!“, sangen die Toten Hosen 2004 in dem Lied Walkampf (Album „Zurück zum Glück“). Das wissen aber wohl nur die Eltern, die in den späten 80ern geboren und als Teenager alternativ zum Mainstream oder in der Punkszene unterwegs waren, oder? Ich hatte jedenfalls direkt den Liedrefrain im Ohr, als ich auf das Cover dieses wunderbaren Pappbilderbuchs schaute.
Die Illustrationen
Viel mehr Eltern hol ich ahrscheinlich beim Thema Illustrationen ab. Sie kennen wohl die Bilder von Eric Carle („Raupe Nimmersatt“) oder auch „Frederick“ von Leo Lionni, die mir als Assoziationen zu dem Cover in den Kopf kamen. Die kleine rote Maus hat ein bisschen was von Frederick und der Stil erinnert an eine Mischung aus Lionni und Carle. Und trotzdem sind Beckers Illustrationen ganz für sich genommen wunderschön anzuschauen und reduziert. Sie hat unterschiedliche bemalbare Strukturen (außer der Strick-Panda, mein Favorit!) genommen und macht daraus klare collagenartige Tiere, die auf dem weißen Hintergrund (mit viel Wal drauf natürlich) großartig wirken können.
Die Geschichte
Das Meer hat sich auf der kalten Klippe eine Grippe geholt und muss kräftig niesen. Dabei schießt es einen Wal aus dem Wasser direkt an den Strand. Der Wal weiß gar nicht, wie ihm geschieht und das Meer bittet die kleine Maus um Hilfe. Aber wie soll dieses kleinste Säugetier nun dieses größte Säugetier zurück ins Wasser bekommen?
Die Maus schafft es nicht allein und bittet wiederum den Schwan um Hilfe. Der Schwan ist tatkräftig und bringt sogar noch zwei andere Schwäne mit, aber auch zu viert bekommen sie das schwere Tier nicht weggeschoben. Also bitten die Schwäne noch die Hyäne dazuzukommen. Die Hyäne versucht es mit Lärm, doch auch sie schafft es nicht, den Wal zurück ins Meer zu bewegen. Sie bittet also die Giraffen um Hilfe. Die Giraffen versuchen ihn vom Strand weg zu drücken, doch auch ihnen ist der Wal zu schwer. Sie wecken den starken Bären, der schafft es, den Wal zumindest einmal fünf Millimeter zu schieben, gibt dann aber auf. So kommen auch noch zwei Stachelschweine, zwei Elefanten und drei Eulen hinzu.
Die weisen Vögel versuchen es erst gar nicht mit Körperkraft. Sie nutzen ihren Verstand und kommen schließlich auf die Lösung: alle gemeinsam müssen mit anpacken, um den Wal zurück ins Meer schieben zu können.
„Und gemeinsam, bitte sehr, schoben sie den Wal ins Meer!“
Der Wal bleibt derweil die ganze Zeit stumm, sieht jedoch zu keiner Zeit unglücklich aus. Seine Lage scheint ihn eher zu amüsieren. Er schaut seine Helfer (sofern man das Maul auf dem Bild sieht) freundlich lächelnd an. Ob er sich seinem Schicksal einfach ergeben hat oder doch einfach positiv gestimmt ist, dass er bald zurück im kühlen Nass ist? Meine Gläser sind ja generell eher halb voll, schließlich ist es ein Kinderbuch :D
Die Sprache
Jede Doppelseite kommt mit sechs Versen daher, die im immer gleichen Reimschema aabbcc mit der Aufforderung „Schieb den Wal zurück ins Meer!“ enden. Das erkennen auch die Kinder ganz schnell und sprudeln manches mal voreilig ein richtiges oder auch anderes Wort heraus. Das Meer wird personifiziert, es liegt auf der Klippe und erkältet sich. Der Wal hingegen fast instrumentalisiert als Objekt, dadurch, dass er selbst nicht zu Wort kommt. Die Wiederholung des Satzes „Schieb den Wal zurück ins Meer!“ am Ende jeder Doppelseiten-Strophe verstehen die Kinder spätestens beim dritten Mal und können den Satz in der Folge dann selbst rufen. Das tun sie dann auch mit Ausdruck!
Mein Fazit
Ein klasse Pappbilderbuch vom Gemeinschaftssinn. Es zeigt, dass es schön und richtig ist, um Hilfe für jemanden zu bitten, der es für sich selbst nicht schafft. Und, dass die Gemeinschaft stark ist, wenn es alleine mal nicht klappt. Es ist eine Geschichte zum immer wieder lesen, ein Buch zum immer wieder betrachten. Woraus die ganzen Tiere wohl sind? Es regt dazu an, selbst zu basteln. Es regt Kinder dazu an, die Reime zu beenden und den wiederkehrenden Satz „Schieb den Wal zurück ins Meer!“ laut auszurufen. Es regt die Erwachsenen an, mal wieder alte Lieder zu hören und in Büchern der eigenen Kindheit zu schmökern. Ein Herzbuch <3
Kam bei den Brabbelkäfern und ihren Eltern in Veranstaltungen sehr gut an!
„Schieb den Wal zurück ins Meer!“
Text: Sophie Schoenwald
Illustration: Lea Johanna Becker
Verlag: Boje
Erscheinungsjahr: 2022 (2018)
ISBN: 978-3-414-82638-1
Coverbild: Copyright Bastei Lübbe Verlag
Vielen Dank dem Boje Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplares!