Welten erlesen – Kinder, die Geschichten verstehen

Der erste Eindruck

Diese Ankündigung steht nicht etwa in einer kleinen Push-Nachricht auf dem Handy oder Laptop. Nein, es geht um richtige, echte Post aus Papier mit Briefumschlag und von einem Postboten (oder hier eher Postbotin?) gebracht.

Das Cover lässt schon darauf schließen, dass es um Tiere gehen wird: eine Brieftaube (etwas „dull“, wie man hier so schön sagt) sitzt mit einem Brief im Flügel auf dem Kopf eines Bären.

Die Geschichte

Auf den ersten Seiten erfahren wir, dass Brieftaube an diesem Tag gar keine Post an die Tiere des Waldes zu verteilen hat. Sie überlegt bereits, was sie stattdessen an so einem freien Tag tun könnte… da bemerkt sie, dass Bär dabei ist einen Brief zu verfassen. Als er ihn nach reichlicher Überlegung fertig geschrieben hat, übergibt er ihn an Brieftaube. Wir als Leser*in erfahren nicht, was der Inhalt der Nachricht ist. Und so beginnt für die kleinen Zuhörer*innen und Zuschauer*innen eine kleine Reise durch den Wald und seinen Tieren. Wir begleiten Brieftaube beim Austragen der Post: erst zu Hase, dann Dachs, Wiesel, Reh, Wildschwein, Igel, Eule, Fuchs und schließlich wieder zu Bär.

Dieser eine Brief von Bär wandert von Tier zu Tier und spendet jedem einzelnen Zuspruch auf die ein oder andere Weise auf. Er stoppt die Hektik des Alltags, muntert auf, schenkt Mut und Zuversicht, offenbart Gefühle und sagt jedem, dass er wichtig ist.

Doch am Ende fragen wir uns doch: was nur hat Bär geschrieben? Das bleibt der Fantasie der großen und kleinen Leser*innen überlassen. Der Bär öffnet zwar am Ende den Brief, wir sehen allerdings „nur“ ein großes, rot gemaltes Herz darauf.

Illustrationen

Das rote Herz sagt natürlich schon ganz viel aus. Den Kindern gefällt das sehr, denn so können sie selbst erspinnen, was der Bär wohl geschrieben hat. Ein toller Gesprächsanlass! Zudem hat sich jedes Tier auf dem Brief mit seinem Pfoten-, Fuß- oder Hufabdruck verewigt. Das regt dazu an, sich das Buch noch einmal von vorne zu betrachten: auf jeder Doppelseite findet man neben dem entsprechenden Waldtier in seinem Habitat auch seine Spuren irgendwo. So können die Kinder sich selbst erschließen welcher Abdruck von welchem Tier ist und lernen so ganz nebenbei und intrinsisch motiviert. Das Vorsatzpapier bot zudem nach der Buchbetrachtung noch einmal ein hervorragenden Anlass, die Geschichte vom Kind in seinen eigenen Worten wiedergeben zu lassen. der Anita Schmidt schafft es mit ihren Bildern den Kindern die Ausgangsstimmung des jeweiligen Tieres unterstreichend zum Text zu vermitteln. Die Tiere sind klar zu erkennen und die meisten haben ein vermenschlichendes Attribut. So unterstreichen die Taschenuhr des Hasen, die Schirmmütze des Dachs‘, die Schleife des Rehs, die Brille der Eule und auf jeden Fall die Lederjacke des Wildschweins den Identifikationscharakter und die Glaubwürdigkeit der emotionalen Zustände. Viel Bildwitz kommt zudem durch die Taube ins Spiel: die Anstrengung steht ihr zum Ende hin buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Die Bilder schaffen es, die aufs Wesentliche reduzierte Geschichte weiterzuerzählen und sogar noch um eine weitere Ebene zu ergänzen.

Sprache

Wenig Text, große Geschichte. Der Text von Sophie Schoenwald mutet Vorleser*in und Kind was zu. Und das meine ich durchaus positiv! Es wird uns zugemutet (im Sinne von zugestanden, dass wir fähig sind dies zu tun) über den Text zu sprechen: darüber grübeln, was in dem Brief stehen könnte. Die eigene Lebenswelt mit der der Tiere abgleichen – Wen kennst du denn, der… immer unter Zeitdruck ist, die morgens schlechte Laune hat, der sich schon einmal richtig gestritten hat,  und so weiter. Witzige Wörter erklären – Was sind eigentlich ein „Morgenmuffel“ und ein „Trauerkloß“? Zudem ist die Sprache so herrlich bildhaft, sodass man manchmal erst nach dem Wort suchen muss, das zum jeweiligen Tier passt. Da ist ganz viel „Show“ und ganz wenig „Tell“.

Fazit

Eine wunderbare Geschichte auf textlicher, wie bildlicher Ebene über die schlichte Freude einen Brief zu schreiben und welche geschickt zu bekommen.

Das kleine Extra am Ende des Buches, nämlich eine Bastelvorlage für einen kleinen Briefumschlag in Form eines Herzens, lädt dazu ein, selbst tätig zu werden. Das Kind kann den Umschlag ausschneiden und zusammenkleben und dann kann gemeinsam eine liebevolle Nachricht an jemanden geschickt werden. So eine schöne Idee!

Sowie so ist dieses Bilderbuch für mich ein Muss für jedes Bücherregal, egal ob Zuhause oder in der Kita. Es bringt ganz viel zum Thema literacy-Erwerb mit sich und ist ein prima Anlass, ein literacy-Center in einer auserkorenen Ecke eines Gruppenraums (oder auch im Kinderzimmer) einzuführen.

Also: Schreib mal wieder!

Dieses Bilderbuch war Bestandteil der Veranstaltungsreihe „WeltenBummler“ und kam bei den Kindern nachhaltig sehr gut an. Ein kleiner Einblick in eine der literaturpädagoischen Methoden zu diesem Buch erhaltet ihr hier.

„Post für dich“
Text: Sophie Schoenwald
Illustration: Anita Schmidt
Verlag: Baumhaus
Erscheinungsjahr: 2018
ISBN: 978-3-414-82638-1
Coverbild: Copyright Bastei Lübbe AG

Vielen Dank dem Baumhaus Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplares!